Der Moment, in dem Ihr Name aufgerufen wird, die Stille vor dem ersten Hindernis, diese einzigartige Verbindung aus Tradition, Präzision und Partnerschaft mit dem Pferd. Ein Turnier in der Working Equitation ist für viele Reiter der Höhepunkt monatelangen Trainings.
Doch der Weg dorthin ist oft von Unsicherheit geprägt. Komplexe Regelwerke, unklare Anforderungen und die schiere Menge an organisatorischen Details können selbst erfahrene Reiter aus dem Konzept bringen.
Genau hier setzt dieser Leitfaden an: Er übersetzt für Sie das offizielle Regelwerk in die Praxis, gibt Ihnen eine klare Struktur für Ihre Vorbereitung an die Hand und verrät, worauf Richter wirklich achten.
Vergessen Sie oberflächliche Blogartikel und das schwer verständliche Juristendeutsch der offiziellen Dokumente. Dies ist Ihr praxisnaher Plan, der Unsicherheit in Selbstvertrauen verwandelt und Sie bestmöglich auf den nächsten Turnierstart vorbereitet.
Selbsteinschätzung: Welche Leistungsklasse ist die richtige für mich?
Die Wahl der richtigen Klasse ist die erste und vielleicht wichtigste strategische Entscheidung vor einem Turnier. Sie entscheidet darüber, ob Sie und Ihr Pferd eine positive, motivierende Erfahrung machen oder sich überfordert fühlen. Es geht nicht darum, möglichst schnell aufzusteigen, sondern darum, dort zu starten, wo Sie souverän Ihr Können zeigen können.
Die Working Equitation in Deutschland (nach WED e.V.) gliedert sich in aufbauende Klassen, bei denen mit jeder Stufe die Anforderungen an Rittigkeit, Präzision und Tempo steigen.
Der folgende Überblick hilft Ihnen bei der Einordnung:
Klasse WE (Einsteiger)
Zielgruppe: Turnieranfänger, junge Pferde.
Anforderungen: Dressur auf E-Niveau, Trail im Schritt oder Trab.
Fokus: Saubere, korrekte Ausführung der Grundlagen.
Klasse WA (Anfänger)
Zielgruppe: Reiter mit erster Turniererfahrung.
Anforderungen: Dressur auf A-Niveau, Trail-Hindernisse im Trab oder Galopp.
Fokus: Sicherere Anlehnung, flüssigere Übergänge.
Klasse WL (Leicht)
Zielgruppe: Fortgeschrittene Reiter.
Anforderungen: Dressur auf L-Niveau, höhere Anforderungen an Tempo und Präzision.
Fokus: Versammlung, Einhand-Reiten im Trail optional.
Klasse WM (Mittel)
Zielgruppe: Erfahrene Reiterpaare.
Anforderungen: Dressur auf M-Niveau, durchgehend einhändige Zügelführung gefordert.
Fokus: Hohe Versammlung, exakte Linienführung.
Klasse WS (Schwer)
Zielgruppe: Nationale und internationale Elite.
Anforderungen: Dressur auf S-Niveau, höchste Anforderungen an alle Lektionen.
Fokus: Ausdruck, Perfektion und Harmonie auf höchstem Niveau.
Tipp zur Vorbereitung: Filmen Sie Ihr Training und vergleichen Sie es unvoreingenommen mit Videos von Ritten aus den jeweiligen Klassen. So erhalten Sie ein realistisches Gefühl dafür, welche Anforderungen auf Sie zukommen und wo Sie mit Ihrem Pferd aktuell stehen.
Das Regelwerk entschlüsselt: Die wichtigsten Regeln von WED und WAWE
Die Koexistenz zweier Regelwerke – des nationalen vom Working Equitation Deutschland e.V. (WED) und des internationalen der World Association for Working Equitation (WAWE) – sorgt oft für Verwirrung. Für die meisten Turniere in Deutschland ist das WED-Regelwerk maßgeblich. Die WAWE-Regeln kommen vor allem bei internationalen Meisterschaften zum Tragen.
Sie müssen nicht jedes Detail auswendig lernen. Die grundlegenden Unterschiede sollten Sie aber kennen, um typische Fehler zu vermeiden.
Die entscheidenden Unterschiede für Einsteiger:
-
Ausrüstung: Das WED-Regelwerk ist oft flexibler und erlaubt beispielsweise in den Einsteigerklassen das beidhändige Reiten auf Kandare oder die Nutzung gebissloser Zäumungen, während die WAWE hier traditionell strenger ist.
-
Hindernisbewertung: Obwohl die Grundprinzipien ähnlich sind, gibt es leichte Abweichungen bei der Ausführung und Bewertung einzelner Hindernisse. So wird etwa der Slalom oder das Tor nach WED- und WAWE-Norm leicht unterschiedlich bewertet.
-
Kleiderordnung: Die Kleiderordnung nach WED ist klar definiert, orientiert sich aber an nationalen Gegebenheiten. Internationale Turniere nach WAWE verlangen oft eine streng traditionelle Ausrüstung, die das jeweilige Herkunftsland des Reiters repräsentiert.
Praxistipp: Konzentrieren Sie sich zu Beginn ausschließlich auf das Regelwerk des WED e.V., da dieses für 99 % Ihrer Starts in Deutschland relevant sein wird. Laden Sie sich die aktuellste Version von der offiziellen Webseite herunter und lesen Sie sich gezielt die Bestimmungen für Ihre Leistungsklasse durch.
Der administrative Marathon: Anmeldung, Fristen und typische Stolperfallen
Ein guter Ritt beginnt lange vor dem Einreiten ins Viereck: bei der Organisation. Die Turnieranmeldung ist ein formaler Prozess, bei dem kleine Fehler große Folgen haben können – bis hin zum Ausschluss vom Start.
Ihr Ablaufplan für eine stressfreie Anmeldung:
-
Turnier finden: Nutzen Sie Portale wie Nennung Online oder die Webseite des WED e.V., um passende Turniere in Ihrer Region zu finden. Achten Sie auf die Ausschreibung und prüfen Sie, welche Klassen angeboten werden.
-
Nennungsschluss beachten: Dies ist die wichtigste Frist. Eine verspätete Nennung ist so gut wie nie möglich. Tragen Sie sich den Termin am besten sofort in den Kalender ein.
-
Dokumente vorbereiten: Sie benötigen in der Regel:
- Den Equidenpass (Pferdepass) mit gültigem Impfschutz.
- Ihre Jahresturnierlizenz oder eine Gastlizenz, falls erforderlich.
- Die Nennungsbestätigung, die Sie nach erfolgreicher Anmeldung per E-Mail erhalten.
-
Korrekt nennen: Füllen Sie das Online-Formular sorgfältig aus. Die häufigsten Fehler passieren bei der Eingabe der Kopfnummer des Pferdes oder der Auswahl der falschen Prüfung. Prüfen Sie alle Angaben doppelt, bevor Sie die Nennung absenden.
Typische Stolperfalle: Viele Reiter vergessen, den Impfstatus ihres Pferdes rechtzeitig zu überprüfen. Ein fehlender oder abgelaufener Impfschutz führt unweigerlich zur Disqualifikation vor Ort. Planen Sie Tierarzttermine mit ausreichend Puffer vor dem ersten Turnier der Saison.
Richter-Einblicke: Die häufigsten Anfängerfehler und wie Sie sie vermeiden
Wir haben Richter und erfahrene Trainer gefragt, was die häufigsten und teuersten Fehler sind, die Turniereinsteigern unterlaufen. Wenn Sie diese Punkte kennen und gezielt trainieren, haben Sie einen entscheidenden Vorteil.
Fehler 1: Falsches Verständnis der Parcoursführung
Viele Punkte gehen nicht durch mangelndes reiterliches Können verloren, sondern schlicht durch falsche Wege oder das Auslassen von Hindernissen.
Lösung: Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für das Parcours-Abgehen. Gehen Sie den Weg nicht nur einmal, sondern mehrmals ab, bis Sie jede Wendung und Reihenfolge verinnerlicht haben. Sprechen Sie den Weg laut vor: „Nach dem Tor rechts zum Slalom, dann links zur Brücke.“
Fehler 2: Mangelnde Losgelassenheit und schlechte Übergänge
Nervosität führt schnell zu einem festen Rücken und klemmigen Gängen. Besonders in der Dressur und zwischen den Trail-Hindernissen bestrafen Richter dies sofort mit Punktabzug.
Lösung: Bauen Sie ins tägliche Training viele Übergänge ein. Üben Sie das Anhalten und ruhige Stehen vor und nach jedem Hindernis. Ein Pferd, das gelernt hat, am Hindernis zu „parken“ und auf die nächste Hilfe zu warten, bleibt auch unter Anspannung gelassener.
Fehler 3: Unpräzise Ausführung der Hindernisse
Besonders beim Slalom schwenkt oft die Hinterhand aus, oder beim Tor wird der Riegel nicht sanft, sondern fahrig und mit viel Unruhe bedient.
Lösung: Trainieren Sie die Hindernisse in Einzelteilen und in Zeitlupe. Der Fokus liegt auf Präzision, nicht auf Geschwindigkeit. Ein gut ausgebildetes Pferd der Rasse Pura Raza Española (PRE) bringt von Natur aus die nötige Wendigkeit für solche Aufgaben mit.
Parcours-Abgehen mit Strategie: So lesen Sie den Trail richtig
Das Abgehen des Parcours ist Ihre Chance, den Ritt im Kopf zu planen und sich einen strategischen Vorteil zu verschaffen. Es ist weit mehr als nur das Auswendiglernen der Reihenfolge.
Ihre 3-Schritte-Strategie:
-
Der erste Überblick (Makro-Perspektive): Gehen Sie einmal außen um den gesamten Parcours herum. Wo stehen die Hindernisse? Wo sind die langen Wege, wo die engen Wendungen? Wo scheint die Sonne, die Ihr Pferd blenden könnte?
-
Die Linienführung (Mikro-Perspektive): Gehen Sie nun den exakten Weg von Hindernis zu Hindernis ab. Planen Sie jeden einzelnen Übergang. Wo müssen Sie Ihr Pferd aufnehmen, wo können Sie es vorwärtsreiten? Wo lässt sich eine flüssige Linie reiten, und welchen Anreitwinkel wählen Sie für die Brücke oder das Tor?
-
Die mentale Generalprobe: Stellen Sie sich an den Rand, schließen Sie die Augen und gehen Sie den gesamten Ritt noch einmal im Kopf durch. Visualisieren Sie nicht nur den Weg, sondern auch Ihre Hilfengebung und das Gefühl eines gelungenen Ritts. Das reduziert die Nervosität und verankert den Plan in Ihrem Unterbewusstsein.
Die ultimative Checkliste für Ihren ersten Turnierstart
Eine gute Packliste ist die beste Versicherung gegen Stress am Turniertag. Haken Sie diese Punkte ab, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein.
Wichtige Dokumente:
- Equidenpass (Pferdepass)
- Nennungsbestätigung
- Zeiteinteilung und Parcoursplan (ausgedruckt)
- Personalausweis und Führerschein
Ausrüstung für das Pferd:
- Turniersattel und Sattelgurt
- Turnierzaumzeug
- Satteldecke oder Schabracke (weiß für die Dressur)
- Gamaschen oder Bandagen für Transport und Abreiteplatz
- Abschwitzdecke, ggf. Regendecke
- Halfter und Strick
- Putzzeug und Hufkratzer
- Fliegenspray und Glanzspray
Ausrüstung für den Reiter:
- Turnieroutfit (Jackett, Bluse/Hemd, weiße Reithose)
- Reithelm oder Hut (je nach Klasse/Prüfung)
- Reitstiefel
- Handschuhe
- Sporen und Gerte (falls erlaubt und benötigt)
Versorgung und Sonstiges:
- Heunetz für den Transport und Wartezeiten
- Zwei Wassereimer und Wasserkanister mit Wasser von zu Hause
- Futter für nach der Prüfung
- Erste-Hilfe-Set für Pferd und Reiter
- Stiefelknecht, Hocker
- Genügend Verpflegung für Sie selbst
Ein gut sitzender Sattel ist dabei mehr als nur ein Posten auf der Liste. Er ist die direkte Verbindung zu Ihrem Pferd und entscheidend für eine präzise Hilfengebung. Gerade die kurzen, kräftigen Rücken vieler barocker Pferde erfordern hier spezielle Konzepte. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserem Leitfaden über den passenden Sattel für die Working Equitation.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Muss mein Pferd einer bestimmten Rasse angehören?
Nein, die Working Equitation steht allen Pferderassen offen. Die Disziplin wurde zwar von iberischen Arbeitstraditionen geprägt, aber auf Turnieren sieht man erfolgreich eine bunte Vielfalt vom Warmblüter bis zum Haflinger. Wichtig sind Rittigkeit, Durchlässigkeit und Nervenstärke.
Was passiert, wenn ich mich im Parcours verreite?
Keine Panik, das ist einer der häufigsten Fehler. Korrigieren Sie Ihren Weg, sobald Sie ihn bemerken. Meist führt das zu Punktabzug, aber nicht zur sofortigen Disqualifikation – solange Sie kein Hindernis von der falschen Seite anreiten oder die Reihenfolge komplett durcheinanderbringen.
Wie wichtig ist die Dressur für das Gesamtergebnis?
Extrem wichtig. Die Dressur legt die Grundlage für alles, was im Trail und im Speedtrail folgt. Eine gute Note in der Dressur legt den Grundstein für eine hohe Gesamtpunktzahl und kann einen kleinen Fehler im Parcours oft ausgleichen. Viele erfahrene Reiter sagen: „Der Trail wird in der Dressur gewonnen.“ Dieses Prinzip ist auch die Basis der klassischen Dressur mit barocken Pferden.
Fazit: Mit Sicherheit und Freude zum Erfolg
Ein Turnierstart in der Working Equitation ist eine unvergessliche Erfahrung. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht allein im reiterlichen Können, sondern in einer durchdachten und systematischen Vorbereitung. Wenn Sie die Regeln verstehen, die richtige Klasse wählen und die typischen Fehler von vornherein vermeiden, schaffen Sie die beste Basis für einen souveränen und freudvollen Auftritt.
Nutzen Sie diesen Leitfaden als Ihren persönlichen Fahrplan. Arbeiten Sie die Punkte Schritt für Schritt ab, und Sie werden feststellen, wie die anfängliche Nervosität einer ruhigen Zuversicht weicht. Denn am Ende geht es um mehr als nur um Schleifen. Es geht um die Bestätigung der harmonischen Partnerschaft mit Ihrem Pferd. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg.




