Fühlen Sie sich im Dschungel der Reittipps manchmal verloren? Sie lesen von zehn Übungen für einen besseren Sitz, vier Wegen zum perfekten Trail-Hindernis und unzähligen Ratschlägen, die sich oft widersprechen.
Was dabei oft fehlt, ist der rote Faden: ein klares, verständliches System, das Sie und Ihr Pferd Schritt für Schritt von einer soliden Basis bis zur meisterhaften Harmonie begleitet. Genau dieses System finden Sie in der Working Equitation.
Diese Disziplin ist weit mehr als nur das Bewältigen von Hindernissen. Sie ist eine Philosophie, die auf einer jahrhundertealten Tradition der Arbeitsreitweisen beruht und die Beziehung zwischen Reiter und Pferd in den Mittelpunkt rückt. Hier geht es um Vertrauen, Präzision und Leichtigkeit. Dieser Leitfaden stellt Ihnen daher nicht nur einzelne Übungen vor, sondern das gesamte Ausbildungskonzept, das der Faszination Working Equitation zugrunde liegt.
Die Philosophie: Partnerschaft als oberstes Ziel
Bevor wir in die Praxis einsteigen, lohnt sich ein Blick auf das Fundament. Die Working Equitation entstand aus der Notwendigkeit heraus, ein wendiges, mutiges und absolut zuverlässiges Pferd für die Arbeit im Feld zu haben. Jede Lektion und jedes Hindernis hat einen praktischen Ursprung – ein Erbe, das die Ausbildung bis heute prägt.
Im Vordergrund stehen nicht spektakuläre Bewegungen, sondern Kontrolle, Gehorsam und eine feine Kommunikation, die es dem Paar ermöglicht, jede Herausforderung als Team zu meistern. Der wahre Lohn ist dabei nicht die Turnierschleife, sondern ein Pferd, das mitdenkt und seinem Reiter blind vertraut.
Das Fundament: Die richtigen Voraussetzungen für Pferd und Reiter
Jedes Ausbildungssystem steht und fällt mit seiner Basis, die in der Working Equitation aus zwei gleichberechtigten Partnern besteht.
Das Pferd
Obwohl spanische Pferderassen wie der PRE oder Lusitano durch ihre Wendigkeit und Nervenstärke prädestiniert sind, eignet sich grundsätzlich jedes rittige und gelassene Pferd für den Einstieg. Wichtiger als die Rasse sind ein korrekter Körperbau, ein ausgeglichener Charakter und die Bereitschaft zur Mitarbeit.
Der Reiter
Ihre wichtigste Eigenschaft ist nicht der Ehrgeiz, sondern die Geduld. Sie müssen bereit sein, die Welt aus der Perspektive Ihres Pferdes zu sehen, kleine Fortschritte zu feiern und Rückschläge als Lernchance zu begreifen. Eine faire und konsequente Einstellung ist der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg.
Säule 1: Der zentrierte Sitz – Das A und O der feinen Hilfen
Alles beginnt mit Ihnen. Ein unruhiger Sitz wirkt wie ein ständiges Störfeuer auf Ihr Pferd, denn nur ein ausbalancierter, unabhängiger Reiter kann feine und präzise Hilfen geben. Während viele Ratgeber isolierte Übungen auflisten, liegt der Schlüssel im Verständnis der Biomechanik: Ihr Becken gibt die Bewegung vor, Ihre Körpermitte sorgt für Stabilität und Ihre Hände bleiben davon unabhängig und ruhig.
Praktische Übungen für Ihren Weg zum perfekten Sitz:
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Bewusstes Atmen: Setzen Sie sich vor dem Reiten auf einen Stuhl und atmen Sie tief in den Bauch. Spüren Sie, wie sich Ihr Becken mit jeder Atmung leicht bewegt. Diese tiefe, entspannte Atmung ist Ihr Anker im Sattel.
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Visualisierung im Schritt: Schließen Sie die Augen (auf einem sicheren Pferd an der Longe) und stellen Sie sich vor, Ihre Sitzbeinhöcker wären Füße, die abwechselnd in den Sand treten. So fördern Sie ein mitschwingendes Becken.
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Hände entkoppeln: Nehmen Sie die Zügel in eine Hand und strecken Sie den anderen Arm zur Seite aus. Konzentrieren Sie sich darauf, den Arm absolut ruhig zu halten, während Ihr Körper der Pferdebewegung folgt.
Ein ausbalancierter Sitz ist die Grundlage für jede weitere Lektion. Er ermöglicht es Ihnen, nicht nur zu agieren, sondern feinfühlig auf Ihr Pferd zu reagieren.
Säule 2: Die Dressur als gymnastische Basis
Die Dressur ist in der Working Equitation kein Selbstzweck, sondern das tägliche Kraft- und Koordinationstraining für Ihr Pferd. Sie ist die Sprache, die Sie beide erlernen, um die anspruchsvollen Aufgaben im Trail zu meistern. Jede gymnastizierende Lektion hat einen direkten praktischen Nutzen.
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Schulterherein: Es verbessert die Hankenbeugung und bereitet das Pferd auf enge Wendungen vor, wie sie im Slalom oder am Tor gefordert sind.
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Traversalen: Sie fördern die Geschmeidigkeit und dienen als direkte Vorbereitung für flüssige Seitengänge zwischen den Hindernissen.
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Kurzkehrtwendungen: Diese Lektion schult die schnelle Reaktion auf Gewichts- und Schenkelhilfen – unerlässlich für die Rinderarbeit oder abrupte Richtungswechsel.
Diese klassische Arbeit stellt sicher, dass Ihr Pferd die nötige Kraft, Balance und Durchlässigkeit entwickelt, um die Hindernisse im Trail nicht nur zu bewältigen, sondern dabei auch gesund und motiviert zu bleiben.
Partner-Hinweis
Die Biomechanik des Pferdes ist hier von zentraler Bedeutung. Ein gut sitzender Sattel ist entscheidend, um dem Pferd volle Bewegungsfreiheit in Schulter und Rücken zu ermöglichen. Hersteller wie Iberosattel haben sich darauf spezialisiert, Sättel zu entwickeln, die den besonderen Anforderungen barocker Pferdetypen und dynamischer Disziplinen wie der Working Equitation gerecht werden, indem sie eine breite Auflagefläche und maximale Schulterfreiheit bieten.
Säule 3: Systematisches Trail-Training – Präzision statt Tempo
Der Trail ist das Herzstück der Disziplin. Hier zeigt sich, wie gut die Kommunikation zwischen Ihnen und Ihrem Pferd wirklich ist. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht im schnellen Anreiten, sondern im systematischen Aufbau jedes einzelnen Hindernisses. Anstatt sich an willkürlichen Übungen zu orientieren, bietet das offizielle Regelwerk eine professionelle Grundlage. Die Vorgaben des Weltverbandes WAWE und des deutschen WED e.V. liefern exakte Maße und Abläufe, die Sicherheit und Fairness für alle garantieren.
Schlüssel-Hindernisse und ihre Ausbildungsschritte:
Die Brücke:
Offizielle Maße: Mindestens 4 Meter lang und 1 Meter breit.
Trainingsaufbau: Führen Sie Ihr Pferd zunächst nur über eine am Boden liegende Stange. Steigern Sie die Anforderung langsam, zunächst über eine flache Plane und erst dann über eine solide, niedrige Brücke. Gehen Sie erst zum nächsten Schritt über, wenn Ihr Pferd den vorherigen absolut ruhig und vertrauensvoll meistert.
Der Slalom:
Offizielle Maße: Der Abstand zwischen den Stangen variiert je nach Leistungsklasse zwischen 3 und 6 Metern.
Trainingsaufbau: Beginnen Sie mit großem Abstand und reiten Sie zunächst weite, runde Schlangenlinien. Erst wenn das Pferd ausbalanciert bleibt, verengen Sie die Wendungen schrittweise und arbeiten an präzisen Übergängen und Biegungen.
Das Tor:
Trainingsaufbau: Das Öffnen und Schließen eines Tores vom Pferderücken aus ist eine Meisterleistung der Koordination. Üben Sie zunächst das ruhige Stehen neben einem festen Objekt. Fügen Sie dann das seitliche Tretenlassen (Schulterherein und Renvers) hinzu, bevor Sie überhaupt an einen Riegel fassen.
Indem Sie jedes Hindernis in seine Einzelteile zerlegen und geduldig aufbauen, vermeiden Sie Stress und schaffen nachhaltiges Vertrauen.
Die Kür: Tradition und Meisterschaft mit Garrocha & Rindern
Die höheren Klassen der Working Equitation führen die Reiter zurück zu den Wurzeln der Arbeitsreitweise. Diese Aufgaben erfordern ein Höchstmaß an Präzision, Mut und Partnerschaft.
Die Garrocha
Diese Holzstange, traditionell 3 bis 3,5 Meter lang, war das Werkzeug der spanischen Rinderhirten (Vaqueros). Das Führen der Garrocha erfordert absolute Unabhängigkeit der Hilfen und ein Pferd, das perfekt an den Gewichtshilfen steht. Das Training beginnt am Boden und wird über Jahre verfeinert.
Die Rinderarbeit
Hier zeigt sich die ultimative Partnerschaft. Der Reiter muss das Verhalten des Rindes antizipieren und seinem Pferd blitzschnelle, präzise Signale für Richtungswechsel und Tempovariationen geben. Dies erfordert ein Pferd, das nicht nur gehorcht, sondern aktiv mitdenkt.
Diese anspruchsvollen Disziplinen sind der beste Beweis für die Wirksamkeit des Systems. Sie krönen eine jahrelange, geduldige Arbeit, die auf den Säulen eines perfekten Sitzes, solider Dressurarbeit und vertrauensvollem Trail-Training fußt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Ist mein Pferd für Working Equitation geeignet?
Ja, höchstwahrscheinlich. Grundsätzlich kann jedes Pferd, das Freude an abwechslungsreicher Arbeit hat und über ein gelassenes Wesen verfügt, von den Übungen profitieren. Besonders Rassen wie der PRE, Lusitano oder Menorquiner bringen oft die gewünschte Wendigkeit und Nervenstärke von Natur aus mit.
Muss ich an Turnieren teilnehmen?
Nein. Die Working Equitation ist eine wunderbare Bereicherung für den Trainingsalltag jedes Freizeitreiters. Die Hindernisse bieten eine sinnvolle Gymnastizierung und fördern die Intelligenz und Motivation des Pferdes, ganz ohne Wettkampfdruck. Das große sportliche Potenzial zeigt sich auch im Wachstum der Disziplin in Deutschland, was die Ausrichtung von Europa- (2016) und Weltmeisterschaften (2018) unterstreicht.
Welche Ausrüstung brauche ich am Anfang?
Sie benötigen keine spezielle Ausrüstung, um zu starten. Eine solide Grundausstattung – ein passender Sattel, eine Trense und eine Gerte – genügt. Viele Trail-Hindernisse lassen sich mit einfachen Mitteln wie Pylonen, Stangen oder Tonnen improvisieren.
Wie fange ich am besten an, wenn ich keinen Trainer habe?
Beginnen Sie mit den Grundlagen: der Verbesserung Ihres Sitzes und der Festigung der dressurmäßigen Basis. Viele Hindernisse können Sie zunächst an der Hand erarbeiten, um Ihrem Pferd Sicherheit zu geben. Suchen Sie sich anschließend einen qualifizierten Trainer, der die Philosophie der feinen Hilfengebung versteht und Sie auf Ihrem Weg professionell begleitet.
Fazit: Ihr Weg zur Harmonie in der Arbeitsreitweise
Der Erfolg in der Working Equitation misst sich nicht daran, wie schnell Sie Hindernisse überwinden, sondern wie unsichtbar Ihre Hilfen dabei werden. Der Weg dorthin führt nicht über eine Sammlung zufälliger Übungen, sondern über ein durchdachtes, logisch aufgebautes System.
Indem Sie bei sich selbst beginnen, Ihr Pferd gymnastisch vorbereiten und Herausforderungen geduldig in kleine Schritte zerlegen, bauen Sie auf den drei Säulen des Systems ein unerschütterliches Fundament aus Vertrauen und Kommunikation. Dieses System ist Ihr Kompass auf dem Weg zu einer Partnerschaft, die weit über den Reitplatz hinausreicht – einer Partnerschaft, in der Perfektion nicht das Ziel ist, sondern das natürliche Ergebnis von Harmonie.




